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Bildung: Mach doch das KV! - Eine Betrachtung


So manch ein Sekundarschüler, der noch nicht weiss, was er beruflich machen will, bekommt im Laufe seiner Volksschulzeit den Satz, «Mach doch das KV, dann hast du was in der Hand», zu hören. Ob eine kaufmännische Ausbildung für solche Schüler sinnvoll ist, wird in der Berufswelt sowie in der Gesellschaft diskutiert.


Die Berufswahl ist ein Thema, mit dem sich jeder Volksschüler spätestens ab dem ersten Jahr in der Sekundarschule befassen muss. Doch das ist leichter gesagt als getan: Im zarten Alter von 14 bis 16 Jahren machen sich die wenigsten wirklich Gedanken darüber, was sie später beruflich machen wollen. Und mit einer so grossen Auswahl an verschiedenen Berufen und Branchen fühlen sich Jugendliche bald einmal überfordert. Zudem haben auch die Ansprüche der Lehrbetriebe zugenommen. Nicht jeder Schüler eignet sich für manche Berufsgattungen. Während manche Branchen sehr beliebt sind und ein regelrechter «Run» entsteht, haben andere Branchen sichtlich Mühe, geeignete Lernende zu finden. Gerade in Industrie- und Handwerksbetrieben hat es noch viele offene Lehrstellen, während im kaufmännischen Bereich sämtliche Lehrstellen vergeben sind.

Das Märchen von den guten Chancen

Ältere Generationen mögen sich noch an den berühmten Satz auf ihrem Elternhaus erinnern, «Mach doch das KV, dann hast du was in der Hand». Wirklich? Nun, für eine umfassende Grundausbildung ist eine kaufmännische Ausbildung sicherlich kein schlechter Rucksack. Jedoch sind die Chancen, nach der KV-Lehre eine feste Anstellung zu finden, sehr schwierig geworden. Und das ist kein neues Phänomen: Wie die Autorin dieser Zeilen aus eigener Erfahrung bestätigen kann, existiert dieses Problem schon seit Beginn der 2000er-Jahre. Damals gab es wenig Lehrstellen für zu viele Schüler – heute genau umgekehrt. Das lag daran, dass 2003 eine Reform in der Berufsbildung in Kraft trat, mit der viele Ausbilder nicht einverstanden waren und deshalb keine Lehrlinge ausbilden wollten. In gewisser Weise verständlich, da die Ausbildung mit vielen zu erfüllenden Leistungszielen zu sehr in Theoretische ging und kaum noch Zeit für die Arbeiten im Lehrbetrieb blieben. Seit 2012 ist eine neue Reform in Kraft, die nun das meiste vereinfachte und sich wieder vermehrt auf die Praxis konzentriert. Ebenfalls geändert haben sich die Bezeichnungen: Aus dem Lehrling wurde der Lernende, aus dem Lehrmeister der Berufsbildner und die Lehrabschlussprüfung (LAP) wurde zum Qualifikationsverfahren (QV) – ob diese Änderung sinnvoll ist, bleibe dahingestellt. Dennoch gibt es Baustellen, die nicht einfach zu beseitigen sind – gerade in der kaufmännischen Grundausbildung (unabhängig, ob jetzt Handelsschule, B- oder E-Profil).

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Dass das KV nach wie vor beliebt ist, liegt vielleicht daran, dass – wie eingangs erwähnt – die Eltern oder die Lehrperson dem Schüler das KV empfiehlt; der Schüler es selber will, weil er sich eine Zukunft in einem Bürojob vorstellen kann; weil der beste Schulkollege auch macht; oder, was meistens der Fall ist, weil das KV etwas bequemer ist als andere Berufe. Das hatte natürlich auch Folgen für das Niveau der dieser Branche, denn die Zeugnisse und die Motivation der angehenden Kaufleute lassen manchmal zu wünschen übrig. Gerade Prüfungsexperten sehen dies am Qualifikationsverfahren, wo geprüft wird, ob der Lehrabgänger den Herausforderungen in der Wirtschaft gewachsen ist oder nicht. Nach Erhalt des eidgenössischen Fähigkeitszeugnis sei alles leichter, hiess es lange Zeit. Doch die Zeiten haben sich in der kaufmännischen Branche gründlich geändert. Je nachdem, in welchem Bereich bzw. in welcher Branche der Lernende tätig war, so schnell bzw. mühsam findet sich nach der Lehre eine Stelle. Die guten Chancen nach der kaufmännischen Ausbildung erweisen sich als Märchen, wenn gar als trügerische Illusion. Wer sich auf dem Arbeitsmarkt behaupten will, sollte für sich mehrere Optionen offen halten: a) dass er im Lehrbetrieb eine Weile bleiben kann und/oder b) gleich noch – ob berufsbegleitend oder ganztags – die Matura macht. Nebst Berufsmatur empfehlen sich Weiterbildungen in den Bereichen, wo der Lehrabgänger seine Stärken hat und die bei potenziellen Arbeitgebern gefragt sind.

Talentcheck für Unentschlossene

Vielen Jugendlichen ist gar nicht so richtig bewusst, welches Potenzial in ihnen steckt. Sei es, dass sie weder von Zuhause noch in der Schule richtig gefördert wurden oder sei es, weil die Motivation nicht wirklich vorhanden war. Um sich den Schrecken eines späteren Lehrabbruchs zu ersparen, wäre es sinnvoll, sich frühzeitig Gedanken zu machen, wo die eigenen Talente, Fähigkeiten und Fertigkeiten schlummern – also, bevor man sich gezwungen sieht, das KV zu machen! Eine sicherlich grosse Hilfe bieten die Berufsinformationszentren (BIZ), wo man sich über die verschiedenen Berufe mit deren Anforderungen informieren kann. Einen Berufsberater hinzuzuziehen macht noch mehr Sinn – ob BIZ oder unabhängig spielt keine Rolle. Manchmal hilft es, Fragebögen zu den persönlichen Neigungen auszufüllen, die dann bewertet werden. Solche gibt es unter anderem bei «jobs.ch», aber auch «talentcheck.org» und «berufsberatung.ch» sind eine grosse Hilfe. Wenn man sich drei bis vier – oder sogar fünf – interessante Berufe herausgepickt hat, sucht man Firmen, die in diesem Bereich tätig sind und bereit sind, eine Schnupperlehre anzubieten (dies sollte übrigens nicht nur für Jugendliche, sondern gerade auch für Erwachsene gelten, da man mit der Berufswahl immer wieder konfrontiert ist!). Eine Schnupperlehre sollte mindestens drei Tage lang sein, denn man will ja einen umfassenden Einblick erhalten (es gibt jede Menge tolle Stellen ausserhalb des KV!). Hier sind auch die Firmen selbst gefordert, ein interessantes und informatives Programm zusammen zu stellen. Wenn einem der Beruf gefällt, dann nichts wie ran ans Bewerben!

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