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Ukraine: Ein Staatsstreich, der ein Land zerreisst


Dass der Regime-Wechsel in Kiew ein Putsch war, gibt nun sogar die westliche Presse zaghaft zu, wie eine Dokumentation von BBC zu den Ausschreitungen am 20. Februar 2014 zeigt. Dennoch sind viele Fragen offen und so manch ein Rätsel ungelöst.


Dass während Janukowitschs Regierungszeit Korruption eine Blütezeit erlebte, ist unbestritten. Dass die Demonstrationen zu Beginn des Euro-Maidan in gewisser Weise berechtigt waren, ebenfalls. Was manche Demonstranten nicht wissen ist, dass sie als Mittel zum Zweck für den Sturz des immerhin demokratisch gewählten Präsidenten missbraucht wurden. Wenn man sich den Ablauf dieses sogenannten «Regime-Change» vor Augen hält, kommen Zweifel bei der offiziellen Meinung und Berichterstattung auf. Das haben auch manche Medien bemerkt. Noch zaghaft, aber doch etwas selbstkritischer fangen auch die herkömmlichen Publikationsorgane an, die Geschehnisse zu hinterfragen.

Am Anfang stand das Assoziierungsabkommen

Wenn die meisten Medien über das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine berichten, spricht man mehrheitlich über wirtschaftliche Annäherung und Zusammenarbeit, Befreiung von der Visa-Pflicht, Integration in den EU-Binnenmarkt etc. Wenn man aber sich dieses über tausendseitige – mittlerweile unterzeichnete - Schriftstück genauer ansieht, fallen einem Dinge auf, die weit über das wirtschaftliche hinausgehen:


«(1) Die Vertragsparteien intensivieren die praktische Zusammenarbeit bei Konfliktverhütung und Krisenbewältigung, insbesondere im Hinblick auf eine Verstärkung der Beteiligung der Ukraine an von der EU geleiteten zivilen und militärischen Krisenbewältigungsoperationen sowie an entsprechenden Übungen und Ausbildungsmassnahmen, einschliesslich derer, die im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) durchgeführt werden ... (3) Die Vertragsparteien prüfen die Möglichkeiten für eine militärisch-technologische Zusammenarbeit. Die Ukraine und die Europäische Verteidigungsagentur (EVA) stellen enge Kontakte her, um eine Verbesserung der militärischen Fähigkeiten einschliesslich technologischer Fragen zu erörtern... (Artikel 10) ... und führen einen für beide Seiten vorteilhaften intensiveren Dialog auf dem Gebiet der Raumfahrt... (Artikel 7)»1.


Das heisst im Klartext, dass die Ukraine militärpolitisch an die EU angebunden wird, um die Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation abzubrechen, wie der Osteuropa-Korrespondent Reinhard Lauterbach passend anmerkt: «Die Assoziierungsverhandlungen waren im Grunde keine Verhandlungen. Brüssel stellte den Kandidaten Bedingungen, unter anderem die weitgehende Übernahme des EU-Rechtssystems. Es winkte mit Freihandelsabkommen und visafreiem Reiseverkehr, verlangte aber von den Kandidatenländern gleichzeitig, ihre bestehenden Freihandelsabkommen mit Russland aufzugeben. Im Fall der Ukraine stellte das den 2010 doch noch ins Präsidentenamt gekommenen Janukowitsch vor eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Denn sein Land handelte in ähnlichem Umfang mit der EU und mit Russland; jede Entscheidung für die eine Seite würde die andere brüskieren und im Übrigen wirtschaftliche Einbussen und den Verlust von Arbeitsplätzen nach sich ziehen»2. Janukowitsch stand somit vor einer schweren Entscheidung. Um Zeit zu gewinnen setzte er somit die Unterzeichnung des Abkommens im November 2013 aus.

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Die Folgen der Nicht-Unterzeichnung sind mittlerweile bekannt: Das ukrainische Volk ist empört über Janukowitschs Politik und äussert dies in Demonstrationen auf dem Maidan in Kiew. Allerdings wurden die teilweise berechtigten Anliegen missbraucht, denn hinter diesem - erst friedlichen, dann militanter werdenden – Aufstand steckt ein perfides System, das durch getarnte (CIA-)Agenten in NGOs wie die «Nationale Stiftung für Demokratie (NED)» angeheizt wurde3. Aber im Vergleich zur gescheiterten Orangen Revolution hatte der Euro-Maidan mit dem Sturz von Viktor Janukowitsch im Februar 2014 Erfolg. Wie ging das? Indem gewalttätige Provokateure aus dem Rechten Sektor vermehrt in Szene gesetzt wurden, was vom 18. bis 20. Februar in einem regelrechten Blutbad ausartete.

Was passierte am 20. Februar?

Trotz Zugeständnissen und Kompromissbereitschaft von Janukowitsch kam es ab dem 18. Februar zu einer regelrechten Gewaltexplosion. Mehrere tausend Menschen – angeführt vom Rechten Sektor – versuchten zum Parlamentsgebäude vorzudringen. Die Polizei sowie deren Einheit Berkut, die die Gewaltexzesse einzudämmen versuchten, wurden mit Steinen und Molotow-Cocktails beworfen – Bilder von brennenden Polizeibeamten zeugen davon -, wobei mehrere hundert Polizisten verletzt wurden. Doch das war erst der Anfang. Als die Aussenminister Frankreichs, Polens und Deutschlands am 20. Februar 2014 nach Kiew reisten, um in Gesprächen zwischen der Regierung und der Opposition der Krise Herr zu werden, fielen draussen auf dem Maidan Schüsse. Bis heute ist nicht eindeutig geklärt, wer da geschossen hat, wer dieses Gemetzel in Auftrag gab und mit welchem Ziel. Eine Recherche der britischen Rundfunkanstalt BBC bringt ein wenig Klarheit. In einem Interview mit einem der Scharfschützen, der sich Sergej nennt, wird deutlich, dass dieser von einem ehemaligen Offizier aus der Maidan-Bewegung angeworben wurde und bei diesem Einsatz am 20. Februar auf Berkut-Einheiten von Konservatorium aus schoss4. Der Einsatz dieser Sniper war perfekt koordiniert: Pünktlich um 9 Uhr kamen sie und zogen um 12 Uhr wieder ab. Dabei wurden mehr als fünfzig Menschen auf beiden Seiten getötet. Die neue Regierung unter Pjotr Poroschenko macht die Berkut und Janukowitsch dafür verantwortlich. Doch da ergeben sich bereits die ersten Ungereimtheiten: Warum sollte die Berkut nicht nur auf Demonstranten sondern auch auf die eigenen Einheiten schiessen? Zudem mache die jetzige Regierung keinerlei Anstalten, die Vorfälle auf dem Maidan zu untersuchen. Klar ist, dass die Verletzten denselben Typ Schussverletzungen aufweisen – also durch denselben Kugel-Typ getroffen wurden. Auffällig ist auch, dass die Opposition von hinten – also auch vom Hotel Ukraina aus – angeschossen wurde. Dies bestätigten mehrere Ärzte in Kiew als auch ein Mitschnitt aus einem abgehörten Telefonat zwischen der EU-Aussenbeauftragten Catherine Ashton und dem estnischen Aussenminister Urmas Paet. Peat reiste kurz nach den Ereignissen nach Kiew, wo er von der ukrainischen Ärztin Olga Bogomolez diese Informationen erhielt. Er sagte sogar während des Gesprächs mit Ashton (und das macht das Ganze so brisant!), dass nicht Janukowitsch für die Todesschüsse auf dem Maidan verantwortlich war, sondern jemand aus der neuen Koalition.5

Zum Machtwechsel

Zum gleichen Zeitpunkt der Strassenkämpfe fand am 22. Februar im ukrainischen Parlament, der Rada, der eigentliche Machtwechsel statt. Ca. zwanzig Abgeordnete aus Janukowitschs «Partei der Regionen» wechselten ins Lager der Opposition, was dazu führte, dass eine knappe Dreiviertelmehrheit für die sofortige Amtsenthebung des Präsidenten stimmte. Mit der Begründung: Janukowitsch habe sich selbst von seinem Amt zurückgezogen. Viktor Janukowitsch verneinte dies und bezeichnete die Ereignisse als einen «Staatsstreich». Werfen wir mal einen Blick in die Verfassung der Ukraine:

Artikel 108. «Die Befugnisse des Präsidenten der Ukraine enden vorzeitig in folgenden Fällen: Rücktritt; Verhinderung der Amtsausübung aus gesundheitlichen Gründen: Amtsenthebung in einem Amtsenthebungsverfahren; Tod.»

Die Amtsenthebung wird in Artikel 111 detailliert festgehalten:

Artikel 111. Der Präsident der Ukraine kann wegen des Begehens von Hochverrat oder eines anderen Verbrechens vom Parlament der Ukraine in einem Amtsenthebungsverfahren vorzeitig des Amtes enthoben werden. (…)

Zur Durchführung der Untersuchung bildet das Parlament der Ukraine eine besondere nichtständige Untersuchungskommission, der ein Sonderstaatsanwalt und Sonderermittler angehören. (…)

Der Beschluss über die Amtsenthebung des Präsidenten der Ukraine im Amtsenthebungsverfahren wird vom Parlament der Ukraine mit der Mehrheit von mindestens drei Vierteln der durch die Verfassung bestimmten Anzahl seiner Mitglieder nach der Prüfung der Sache durch das Verfassungsgericht der Ukraine und nach Erhalt seines Gutachtens bzgl. der Einhaltung des verfassungsmäßigen Verfahrens der Untersuchung und Behandlung des Amtsenthebungsverfahrens und des Gutachtens des Obersten Gerichts darüber, dass die Handlungen, deren der Präsident der Ukraine angeklagt wird, den Tatbestand des Hochverrats oder eines anderen Verbrechens erfüllen, gefällt.6

Die Amtsenthebung von Janukowitsch war also verfassungswidrig. Durch die Flucht des Präsidenten vom 21. Februar konnte die Rada nun den Parlamentsvorsitzenden Alexander Turtschinow als Interimspräsidenten bestimmen.

«Fuck the EU» - Die Rolle des Westens

Der neue Mann in Kiew ist seit dem 25. Mai 2014 der als «Schokoladenkönig» bezeichnete Oligarch, Pjotr Poroschenko, der schon zuvor immer wieder Ämter in der Regierung innehatte. Premierminister ist Arsenij Jazenjuk. Beide streben einen baldigen NATO-Beitritt der Ukraine an, weshalb dieser Machtwechsel sehr verdächtig ist und man sich die Rolle des Westens – insbesondere der USA – genauer anschauen sollte. Wie diese beiden dubiosen Gestalten an die Macht kamen, lässt sich wiederum aus einem – vermutlich vom russischen Geheimdienst – abgehörten Telefongespräch zwischen dem US-Botschafter Geoffrey Pyatt und der Chefdiplomatin des US-Aussenministeriums Vicoria Nuland – bei dem der ordinäre Satz «Fuck the EU» fiel – erahnen (siehe Video). Die Rede war vom Amt des Premierministers, das von einem pro-westlichen Kandidaten besetzt werden sollte. Pyatt und Nuland diskutierten darüber, ob Boxer Vitali «Klitsch» Klitschko oder Arsenij «Yats» Jazenjuk in dieses Amt gehievt werden sollte. Nuland – vom «Spiegel» als «Krawall-Diplomatin» bezeichnet – sprach sich für Jazenjuk aus, da dieser sowohl über Erfahrungen in der Wirtschaft als auch in der Regierung verfügte. Über Klitschko weiss man, dass er unter anderem von der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie von der deutschen Bundestags-Partei CDU unterstützt wurde, die in ihm den idealen Präsidentschaftskandidaten sahen7. Das sahen die USA wiederum anders. War es ja schliesslich «Yats», der 2007 die Open Ukraine Foundation ins Leben rief. Interessant: Diese Stiftung wird von Partnern wie dem US-Department of State, der Black Sea Trust for Regional Cooperation sowie – man glaubt es kaum – von der NATO und der oben erwähnten NED8 unterstützt. Poroschenko, dem der Schokoladen-Konzern «Roshen» gehört, verdiente sich nicht nur mit Süsswaren eine goldene Nase, sondern auch mit Waffen – er ist im Besitz des Schiffsbau- und Rüstungsunternehmens «Leninska Kuznya», das Kriegsschiffe und Granatwerfer9 herstellt. Und wie schon Jazenjuk hat auch Poroschenko eine eigene Stiftung, die unter anderem mit dem Think-tank European Policy Centre (EPC)10 vernetzt ist. Der Westen spielt daher eine wesentliche Rolle in diesem Spiel in der Ukraine. Was dieser Staatsstreich für Folgen für die ukrainische Bevölkerung hat, wird verheerend sein. Mit einem Assoziierungsabkommen fing es an, das die Ukraine regelrecht zerrissen hat. Als Reaktion auf die Ereignisse in Kiew stimmte die Halbinsel Krim am 16. März in einem Referendum dem Anschluss an die Russische Föderation zu. Am 2. Mai 2014 kamen bei einem Brandanschlag auf das Gewerkschaftshaus in Odessa über 40 Menschen ums Leben und seit April 2014 herrscht im Osten des Landes ein Bürgerkrieg, dessen Ausmasse bereits jetzt nicht mehr überschaubar sind. Mehr Recherchen werden folgen.

Quellenangaben:

1https://www.wko.at/Content.Node/service/aussenwirtschaft/fhp/Handelsabkommen/Assoziierungsabkommen_EU-Ukraine_-_ABl_L_161_vom_140529_neu.pdf

2Reinhard Lauterbach, Bürgerkrieg in der Ukraine – Geschichte, Hintergründe, Beteiligte, Edition Berolina, Seite 78/80

3Mathias Bröckers/Paul Schreyer, Wir sind die Guten – Ansichten eines Putin-Verstehers oder wie uns die Medien manipulieren, Westend, Seite 83ff. / ned.org/where-we-work/eurasia/ukraine

4https://www.youtube.com/watch?v=Ib7EkJD08e4

5https://www.youtube.com/watch?v=cVF89aY0MzY

6http://www.nachdenkseiten.de/wp-print.php?p=24167

7http://www.spiegel.de/politik/ausland/ukraine-merkel-will-klitschko-zum-praesidenten-aufbauen-a-937853.html

8http://openukraine.org/en/about/partners

9http://lk.com.ua/specials/

10http://www.epc.eu/members_list.php

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