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Schweiz: Was ist aus unserer Demokratie geworden?


In den letzten Jahren hat sich in der Schweizerischen Eidgenossenschaft einiges verändert. Nebst der Modernisierung der Kommunen und der Digitalisierung, sind auch vermehrt Veränderungen im politischen Bereich zu erkennen, die vielen Bürgern und Demokratie-Anhängern Sorgen bereiten.


Derzeit wird man in der Schweiz das Gefühl nicht los, dass sich die Politik in Bern - insbesondere die Politik, die der Bundesrat fährt – sich verselbständigt hat. Solche Tendenzen kennt man eigentlich nur aus der Europäischen Union. Diese preist sich allzu gern als «demokratisches System» an, jedoch hintenrum tut sie das genaue Gegenteil, vor allem die EU-Kommission, deren Vertreter nicht einmal demokratisch von den Völkern der EU-Staaten gewählt worden sind, somit ein regelrechter Bürokratieapparat bildet und eigentlich keine Legitimation besitzt. Der jetzige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker aus Luxemburg hätte die EU nicht treffender beschreiben können: «Wir beschliessen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein grosses Geschrei gibt und keine Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück mehr gibt.» Am besten wird dies bei den Verhandlungen über die sogenannten Freihandelsabkommen TTIP, CETA und TiSA deutlich. Klammheimlich wird versucht, diese Abkommen an den Bürgern vorbeizuschmuggeln. Doch der Widerstand gegen das Vorhaben, eine transatlantische Freihandelszone zu errichten, wird stärker. So kam es, dass im letzten Herbst in Berlin zwischen 100'000 und 250'000 Menschen auf die Strasse gingen und gegen TTIP demonstrierten1. Irritierenderweise stellten die Medien wie der Spiegel die Demonstranten in die «rechte Ecke», obwohl es sich unmöglich um Rechtsradikale handeln konnte2. Da waren besorgte Bürger – unabhängig von ihrer politischen Einstellung -, die die Intransparenz bezüglich der TTIP-Verhandlungen sowie Herabsetzung des europäischen Qualitäts-Standards und die nicht öffentlichen Schiedsgerichte, bei denen Konzerne gegen Staaten klagen können, anprangerten. Auch in den USA gehen die Menschen auf die Strasse – nicht nur gegen TTIP und Co., sondern auch gegen den Machtmissbrauch der Elite in Washington. Auf «Occupy the Wall Street» von 2011 folgt nun «Democracy Spring», wo die Demonstranten Sit-in vor dem Capitol organisieren. Seltsamerweise wird in den Medien kaum darüber berichtet...3


Der Druck auf die Schweiz wächst


Die Freihandelsabkommen mit Nordamerika sind nicht nur in der EU ein Thema, vielmehr wird auch in der Schweiz über einen Beitritt zu dieser «Freihandels-NATO» diskutiert. Die Verhandlungen zu TiSA (Trade in Services Agreement) sind seit Beginn 2012 am Laufen4. Doch Schweizer Konzerne wollen auch bei TTIP kräftig mitmischen und fordern Bern auf, sich der EU anzuschliessen5 – selbstverständlich, wenn möglich, ohne Volksabstimmung. Ob der Bundesrat diesem Druck standhalten kann, sei zweifelhaft. Weitere Versuche, die Eidgenossen in die Knie zu zwingen, kommen aus Brüssel selbst: Mit dem EU-Rahmenvertrag soll die Schweiz neues EU-Recht in fast allen Bereichen übernehmen, d.h. das Bundesgericht wäre den EU-Richtern unterstellt, die kontrollieren, ob sich Bern an die Forderungen Brüssels hält – wenn nicht, wird sie mit Schikanen bestraft6. Die Entscheidungen des Stimmvolkes würden somit nichtig gemacht. Es wird also über ein Rahmenabkommen verhandelt, das die Schweiz (schon rein aus demokratischer Sicht) unmöglich annehmen kann. Wenn man den momentanen Zustand der EU beobachtet, macht der Rahmenvertrag auch keinen Sinn. Das Euro-Fiasko und die Einwanderungskrise zeigen, dass das System bröckelt: Nicht nur Grossbritannien wird über einen EU-Austritt abstimmen, auch in Österreich kam es im Sommer 2015 zu einem Referendum, das den Austritt aus der Europäischen Union anstrebt7. Ähnliche Töne sind ebenfalls aus Dänemark, Ungarn, der Slowakei und sogar aus Finnland zu vernehmen. Auch untereinander sind die EU-Staaten im Zwist, besonders seit in Polen eine neue Regierung gewählt wurde, die sich dem Brüsseler Kurs widersetzt. Und trotz allem arbeitet die Bundesregierung in Bern wie besessen an einem EU-Beitritt durchs Hintertürchen, bei dem die Stimmbürger hintergangen werden. Dennoch ist ein leichter Wandel in der eidgenössischen Politik zu vernehmen – gerade in Bezug auf die EU: Als die Schweiz 1992 über einen Beitritt in den EWR – dem «EU-Trainingslager», wie alt-Bundesrat Adolf Ogi es korrekt ausdrückte – abstimmte, deponierte der Bundesrat vorsorglich ein EU-Beitrittsgesuch, welche über 20 Jahre in Brüssel lag. Nun beschloss der Nationalrat (die grosse Kammer des Parlaments) in der Frühjahrssession von 2016 mit 126 zu 46 Stimmen, das EU-Beitrittsgesuch zurückzuziehen8. Doch ist auf die Aktivitäten des Bundesrats in Bezug auf die EU ein wachsames Auge zu werfen.


Aktive Neutralität und Staatsstreich gegen das Volk


«Aktive Neutralität», ein Ausdruck, der seinerzeit von der damaligen Aussenministerin Micheline Calmy-Rey geprägt wurde, ist noch heute sehr aktuell – und widersprüchlich: Spielt denn die Neutralität nicht eher eine passive Rolle in der Weltpolitik? Nimmt die Neutralität nicht eher die Rolle des Vermittlers bzw. der Diplomatie, um Konflikte zu schlichten und zu lösen? Wenn man sich aber die Lage in der Welt einmal ansieht, so hat man den Eindruck, die Schweiz sei zu einem Handlanger der NATO geworden. Ende Mai 2015 wurde bekannt, dass die Schweizer Luftwaffe an NATO-Übungen wie der «Arctic Challange Exercise» in Skandinavien teilnahm. Geübt wurde unter anderem die Durchsetzung einer Flugverbotszone oder die Zusammenarbeit in aktuellen Krisensituationen9. Solche Übungen werden im Rahmen der NATO-Tochterorganisation mit dem irreführenden Namen «Partnership for Peace» abgehalten, die sich angeblich zur Wahrung des Friedens einsetzt – wenn man aber die Manöver vor der Grenze Russland ansieht, ist wohl schon eher von Provokation die Rede. Das kleine Land im Herzen Europas ist seit 20 Jahren Mitglied der PfP – nur wissen das die wenigsten, denn dazu gab es 1996 keine Volksabstimmung. Hierzu kommen berechtigte Fragen auf: Was haben Schweizer Kampfjets an der russischen Grenze verloren? Warum durfte das Stimmvolk sich nicht zum Beitritt der PfP äussern? Und ist eine solche Mitgliedschaft kompatibel mit der Schweizerischen Bundesverfassung? In Art. 173, Abs 1 a. der Bundesverfassung steht folgendes:


«Die Bundesversammlung hat zudem folgende Aufgaben und Befugnisse:


a. Sie trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.»10


Auch in Art. 185, Abs 1 (äussere und innere Sicherheit) ist die Neutralität verankert:


«Der Bundesrat trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.»11


Die Mitgliedschaft bei der Partnership for Peace und deren Aktivitäten sind ein klarer Widerspruch zur Bundesverfassung und eine ebenso klare Verletzung der Neutralität. Sie führt nicht zu Frieden, vielmehr zu gefährlichen Provokationen mit anderen souveränen Staaten und macht uns gegenüber dem Ausland unglaubwürdig. Ein Austritt aus der PfP wäre das einzig richtige. Jedoch sahen dies Bundesrat und Nationalrat anders und lehnten eine Motion von SVP-Nationalrat Luzi Stamm, der den Austritt aus dem NATO-Programm PfP anstrebte, in der Frühjahrssession 2016 mit 111 zu 69 Stimmen ab12. Ein solches Abstimmungsergebnis im Parlament ist bezeichnend für die Aussenpolitik der Schweiz. Es ist aber auch ein Zeichen, dass es Bundesrat und Parlament mit der Neutralität und der Demokratie nicht so genau nehmen (obwohl es, wie in der BV erwähnt, ihr Auftrag wäre). Demokratie deshalb, weil es der Bundesrat offenbar nicht für nötig hält, angenommene Volksbegehren, die nicht nach seinem Gusto entsprechen, umzusetzen. Dies ist kein neues Phänomen, sondern ereignete sich bereits 1978 nach der Abstimmung über die Sommerzeit, die das Stimmvolk ablehnte – und 1981 trotzdem eingeführt wurde. Die Regierung ist in den letzten Jahren zu extrem geworden: die Umsetzung so mancher Volksentscheide werden entweder verschleppt oder mit der Erklärung beiseite geschoben, sie seien mit dem Völkerrecht nicht kompatibel, z.B. die Initiative zur Ausschaffung krimineller Ausländer, die Einwanderungsinitiative oder gar die Marche Blanche-Initiative, die vorsah, dass Pädophile nicht mehr mit Kindern arbeiten dürfen. Da stellt man sich schon die Frage, ob Bern dies mit der Absicht unternimmt, gegen das Volk einen Staatsstreich durchzuführen und das Initiativrecht nach belieben einzuschränken. Solche Gedanken entspringen nicht irgendeiner Phantasie ... sie sind bereits Realität!13 Die Politik des Bundes hat sich verselbständigt, ohne dass das Volk es richtig wahrnehmen konnte – dafür haben unsere Medien gesorgt. Was ist bloss aus der Schweizer Demokratie, die im Ausland so sehr bewundert wird, geworden? Leben wir noch in einer Demokratie oder sind wir bereits in einer «Demokratur»? Hierzu sei folgendes zu vermerken: Wahre Demokratie beginnt nicht bei der Regierung, sie beginnt in erster Linie bei und in uns selbst.



Quellenangaben:

1https://deutsch.rt.com/34018/inland/berlin-hat-den-eu-rekord-bis-zu-250-000-menschen-demonstrieren-gegen-ttip/

2http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/ttip-bei-der-demo-marschieren-rechte-mit-kommentar-a-1057131.html

3https://deutsch.rt.com/nordamerika/37771-occupy-20-massenverhaftung-bei-democracy/

4https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Aussenwirtschaftspolitik_Wirtschaftliche_Zusammenarbeit/Wirtschaftsbeziehungen/Internationaler_Handel_mit_Dienstleistungen/TISA/Schweiz_und_TiSA.html

5http://www.handelszeitung.ch/politik/freihandelsabkommen-furcht-vor-dem-alleingang-760444

6http://www.eu-no.ch/seiten/vom-non-paper-zum-rahmenvertrag_9?SID=41b1b7dec3bcf17a2e76d23e96337938ae8a010a

7https://deutsch.rt.com/24778/international/nach-dem-grexit-der-auxit-petition-fuer-eu-austritt-in-oesterreich-hat-erfolg/

8https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=36619

9http://www.berneroberlaender.ch/schweiz/standard/Schweizer-Kampfjets-in-heikler-Mission/story/15712038

10https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html#a173

11https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/19995395/index.html#a185

12https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-verhandlungen?SubjectId=36812

13http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Kommission-will-Initiativrecht-einschraenken/story/28870286

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