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Russland: Tag des Sieges – Mehr als nur eine Militärparade – Ein Kommentar


«Gitler kaput!» Am 9. Mai 1945 unterzeichneten die Oberbefehlshaber der deutschen Wehrmacht die Urkunde zur bedingungslosen Kapitulation, was definitiv das Ende des Zweiten Weltkriegs einläutete. Daher ist der 9. Mai für die Russen etwas besonders: Der Sieg über den Faschismus war auch ein Sieg für den Frieden, der in einem unglaublichen Kraftakt mit zahlreichen Opfern herbeigeführt wurde. Ca. 27 Millionen sowjetische Bürger und Soldaten liessen bei diesem Krieg ihr Leben. Allein in Stalingrad kam über 1 Million Menschen ums Leben und die Stadt wurde fast vollständig zerstört. Am allerschlimmsten traf es Leningrad, das 872 Tage von den Achsenmächten eingekesselt war und 16'470 Zivilisten durch Bombenangriffe und ca. 1'000'000 Zivilisten durch Unterernährung starben. Der «День Победы (Dien' Pobedy)» - der Tag des Sieges – ist gerade deshalb für uns Europäer so wichtig, weil es uns daran erinnern soll, welches Leid, welche Tragödie ein solcher Krieg mit sich bringt. Viele haben ihre Angehörigen während des Krieges verloren, teilweise wurden sogar ganze Familien ausgelöscht. Wieder andere gerieten in Kriegsgefangenschaft und schufteten in Lagern unter extremen Bedingungen. Ganze Landschaften wurden verwüstet, Städte zerbombt und niedergebrannt, viele verloren ihre Heimat.

Nach dem Sieg über Nazi-Deutschland dauerte es nicht lange und Europa wurde durch den Eisernen Vorhang geteilt. Die beiden Weltmächte USA und Sowjetunion standen sich gegenüber und hielten einander mit Atomwaffen in Schach. Mehrmals kam es zu bedrohlichen Situationen, wo die Welt am Rande eines Dritten Weltkriegs stand. Heute, im 21. Jahrhundert, existiert die Sowjetunion nicht mehr. Jedoch hatten sich die USA mit ihrer NATO-Politik zu weit aus dem Fenster gelehnt. Die Osterweiterung des transatlantischen Bündnisses sowie der EU halten das heutige Russland wie in einem Zangengriff – obwohl bei den Wiedervereinigungs-Verhandlungen 1990 hoch und heilig versprochen wurde, die NATO keinen Zentimeter weiter nach Osten auszudehnen. Dass diese Erweiterungen für die Russen eine Bedrohung darstellen könnte, dass der Raketenabwehrschild in Polen für die Sicherheit Russlands eine Gefahr sein könnte, wird sowohl in Brüssel als auch in Washington allzu gern unter den Teppich gekehrt. Es wird sogar behauptet, dieser Schild richte sich gegen den Iran und Nordkorea (die «Achse des Bösen», wie George W. Bush es formulierte) – dabei ist jedem klar, wer damit gemeint ist.

Als die NATO auch noch Richtung Ukraine und Georgien schielte, machte die russische Regierung unmissverständlich klar, wo die rote Linie ist. Mit der Ukraine stünde die nordatlantische Allianz unmittelbar vor Moskaus Toren. Machen wir uns nichts vor: Die Zeichen stehen auf Krieg. Spätestens seit dem vom Westen gesponserten Staatsstreich in der Ukraine im Februar 2014 stehen wir an der Schwelle zu einem immer heisser werdenden Krieg. Die Rede von Stratfor-Gründer George Friedman im Februar 2015 am Council on Global Affairs in Chicago sollte zu denken geben: «Das Hauptinteresse der USA, für das wir immer wieder Krieg geführt haben - im Ersten und Zweiten Weltkrieg und auch im Kalten Krieg - waren die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland. Weil vereint, sind sie die einzige Macht, die uns bedrohen kann. Unser Hauptinteresse besteht darin, sicherzustellen, dass dieser Fall nicht eintritt». Somit ist klar, warum die USA die EU (und insbesondere Deutschland) zu den Wirtschaftssanktionen gegen Russland nach dem Krim-Referendum nötigte. Im Kreml hat dieses böse Spiel längst durchschaut und wendet sich vermehrt Asien zu - und trotzdem reichen die Russen den Europäern immer wieder die Hand. Man will das einst so gute Verhältnis nicht leichtfertig aufgeben und auch aus Westeuropa selbst sind vereinzelt Signale Richtung Moskau zu vernehmen. Gerade darum wird die Feier zum Tag des Sieges mit viel Aufwand betrieben, weil sie uns Westeuropäer wachrütteln soll. Damit uns wieder bewusst wird, dass wir nur mit – und schon gar nicht gegen – Russland eine friedliche Koexistenz führen können. Es ist mehr als nur eine pompöse Militärparade: es ist ein Angebot auf Frieden und es liegt an uns, ob wir dieses Angebot annehmen. Denken wir an die 27 Millionen gefallenen Soldaten und Zivilisten und danken unseren östlichen Nachbarn, dass sie uns von einer wahnsinnigen Ideologie befreit haben. Sorgen wir dafür, dass sich eine solche Katastrophe nicht wiederholt.

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