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Grossbritannien: Der Brexit als Quittung gegen die Brüsseler Herrschaft – Eine Betrachtung



Lange haben sie damit gedroht, doch nun ist es definitiv: Die Briten werden die Europäische Union verlassen. Es ist ein Schlag gegen die vorherrschende Classe politique in Brüssel. Dennoch hat die Britische Insel sich kommenden Herausforderungen zu stellen, sowohl aussenpolitisch, wirtschaftlich als auch im Innern.


Besonders die Börse kam nach dem Ergebnis der Abstimmung über den Verbleib Grossbritanniens in der EU ins Trudeln. Man reagierte nervös, hektisch, ja redete sogar vom «Black Friday». Ruhe bewahren wäre hierzu der bessere Ratgeber, denn das wird sich im Laufe der Zeit wieder beruhigen. Regelrecht unter Schock stand jedoch die Elite in Brüssel, war sie doch davon überzeugt, dass die Briten Ja zu einem Verbleib in der EU stimmen würden – ein «Schwarzer Tag für Europa» sei das. Es gibt einfach gewisse Tatsachen, die die Brüsseler Elite nicht mehr länger ignorieren kann. Zum einen ist die Massenmigration – herbeigeführt durch die Kriege im Orient – und die Willkommenskultur, die nicht nur in Mitteleuropa, sondern in Grossbritannien ebenfalls negative Auswirkungen hat. Es zeigt auch, was für ein Verhältnis die Bevölkerung zur Politik hat und die Politik in Brüssel hat sich zu sehr vom Willen des Volkes entfernt, indem sie Gesetze mithilfe von Lobbyisten erliess, die Bürokratie aufblähte und sich Ausschweifungen hingab, die sich normale Bürger nicht hätten leisten können. Von einer Reformbereitschaft, auch in Bezug auf die Finanzkrise, war in Brüssel nicht das geringste zu sehen. Selbstbestimmung und Entscheidungen auf nationaler Ebene zu treffen, ist für die Bürger immer wichtiger geworden. Der Brexit ist die Quittung dafür und Brüssel wird diese schlucken müssen, auch wenn es zu einem «Rosenkrieg» mit London kommen wird.


Was sind die Folgen?


Empfindlich trifft es derzeit die Finanzmärkte. Gerade die britischen Banken waren gegen einen Brexit, weil sie befürchteten, dass ihnen nach dem EU-Austritt der Zugang zum EU-Binnenmarkt versperrt bliebe. Entgegen allen Behauptungen, Grossbritannien würde nach dem Brexit den Zugang zum EU-Binnenmarkt verlieren, muss gesagt werden, dass eine wirtschaftliche Zusammenarbeit sehr wohl auch ohne EU-Mitgliedschaft funktionieren wird – wenn das britische Parlament dem Brexit ebenso zustimmt. Entweder werden die Briten mit jedem einzelnen Staat oder über ein bilaterales Abkommen mit der EU verhandeln, was natürlich voraussetzt, dass so ein Abkommen auch wirklich beide Seiten lohnt und nicht – wie zwischen der Schweiz und der EU zu beobachten – Brüssel sich durchsetzt. Es sei denn London setzt mehr auf Eigenproduktion wie das derzeit Russland nach der Verhängung der Wirtschafts-Sanktionen tut. Für Reisende nach Grossbritannien wird sich nicht viel ändern, da die Briten nicht Mitglied im Schengen-Raum sind. Aussenpolitisch ist es gut möglich, dass sich die Briten enger an die USA und dem Commonwealth of nations zuwenden. Mit ein wenig diplomatischem Geschick könnte es vielleicht der Schweiz, Norwegen und Island gelingen, die Briten wieder als Mitglied in die EFTA (European Free Trade Association) zu gewinnen, was eine Win-Win-Situation bzw. eine Alternative zu Brüssel für alle beteiligte Nicht-EU-Staaten wäre.


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Für die EU wird es wohl weniger rosig aussehen. Die Eurokrise ist noch immer ein Thema und die Migration hält die Union in Atem. Zusätzlich ist in immer mehr Mitgliedstaaten Unmut und Misstrauen gegenüber Brüssel spürbar. Nach der Brexit-Abstimmung könnten in absehbarer Zeit andere Staaten Grossbritannien folgen. In Frankreich macht die Partei Front National Werbung für ein ebensolches Referendum. Auch in den Niederlanden braut sich was zusammen. Als erstes Anzeichen sei die Volksabstimmung über das Assoziierungsabkommen mit der Ukraine zu nennen, das von der Bevölkerung abgelehnt wurde. Als weiterer Wackelkandidat für die EU kommt die Tschechische Republik in Frage. Deren Ex-Präsident Vaclav Klaus machte sich schon während seiner Zeit in der Prager Regierung für einen EU-Austritt stark und ist diesbezüglich heute noch aktiv. Würde sich die Flüchtlingskrise weiter verschärfen kämen auch Ungarn und Polen dazu. Da die EU den Briten den Brexit sicherlich nicht leicht machen wird, sollen solche Bestrebungen ausgebremst, ja im Keim erstickt werden.


Herausforderungen und Sezessionsbestrebungen im Innern


Das Abstimmungsergebnis zeigt in Grossbritannien selbst keinerlei Einigkeit. Besonders EU-freundlich stimmten die Schotten. Nun könnte nach dem gescheiterten Referendum von 2014 ein weiterer Sezessionsantrag erfolgen. Würde es Schottland gelingen, sich von Grossbritannien abzuspalten, wäre die Folge ein EU-Beitrittsgesuch. Ganz so klar wie in Schottland war es in Nordirland hingegen nicht. Zwar stimmten mehr als die Hälfte für einen Verbleib in der EU, doch nicht wenige – allem voran die Unionisten – fühlen sich als Briten. Überhaupt könnte Nordirland wieder zu einem grösseren Thema werden, das sowohl den Briten als auch der EU und der Republik Irland beschäftigen wird. Nach dem jahrelangen blutigen Konflikt herrscht seit dem Karfreitagsabkommen von 1998 Frieden, was allerdings nicht heisst, dass die Republikaner ihr Ziel – die Wiedervereinigung mit der Republik Irland, die Mitglied in der EU ist – aufgeben. London sollte auf ein Referendum aus Belfast gefasst sein und hoffen, dass es zu einer friedlichen Lösung kommt. Weniger stark sind die Unabhängigkeitsbestrebungen in Wales. Auch wenn man in Cardiff über das Brexit-Ergebnis nicht gerade erfreut ist, sagte eine Mehrheit von 52,5 Prozent Ja zum Austritt. Auf London werden schwierige Aufgaben zukommen. Wie sich das Vereinigte Königreich mit Schottland, Nordirland und Wales arrangieren wird, ist eine Sache, die in nächster Zeit für viele Diskussionen und Verhandlungen sorgen wird.


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